Mobilitätsstartups in Corona-Zeiten
Ein Startup aufzubauen, ist für sich schon eine schöne Herausforderung. Ein Startup in der Mobilitätsbranche mit einem neuartigen Angebot, ist eine kleine Steigerung. Ein Startup in der Mobilitätsbranche zu Corona-Zeiten aufzubauen, kommt einem Himmelfahrtskommando schon sehr nahe. Wie testet man die Nachfrage, wenn alle zu Hause bleiben sollen?
Das Gute: mybuxi ist schon vor Corona gestartet. In Herzogenbuchsee und Niederönz haben wir schon im ersten dreiviertel Jahr, bis die Corona-Pandemie die Schweiz erreichte, viel gelernt und erreicht. Wir haben an einem Tag gut 100 Passagiere mit einem Fahrzeug transportiert. Ende Februar 2020 kam unser zweiter Nissan-Kleinbus nach Herzogenbuchsee, um nach der Einfahrphase gleich aus dem Betrieb genommen zu werden. Denn aufgrund der Corona-Massnahmen stellten wir den Betrieb ab dem 17. März für Personentransporte ein. Eine Woche später fuhr das Buxi wieder: als Lieferservice für die lokalen Geschäfte, die grösstenteils schliessen mussten. Der Gewerbeverein setzte in einer Woche eine Website auf und zusammen mit den Kollegen vom Verein EBuxi wurde der Lieferdienst gestartet. Nach sechs Wochen konnten wir den sicheren Personentransport, nach einem Umbau der Fahrzeuge, wieder aufnehmen. Zuerst noch im Taxi-Modus, das heisst mit nur einem Fahrgast, dafür kombiniert mit Warenlieferungen und bald wieder mit 18 Stunden Betriebsdauer pro Tag. Den Lieferservice stellten wir wieder ein – es war zu kompliziert geworden, zwei unterschiedliche Angebote ohne IT-System, wenn eines nur per Telefon läuft, zu betreiben.
Mit dem Lockdown mussten wir auch die geplanten Starttermine für die beiden neuen Gebiete in Ostermundigen/Stettlen und den vier Emmentaler Gemeinden Heimiswil, Affoltern i.E., Rüegsau und Hasle b.B. verschieben. So starteten wir in den beiden neuen Gebieten unter strengen Auflagen mit sehr wenigen Besuchern erst im August, anstatt im April 2020. Da wir für die Startfeste nur wenig Leute einladen durften, haben sich während des Festes lediglich 30 neue mybuxi-App-User registriert. In Herzogenbuchsee waren es 2019 dank grossem Fest 200 Personen, die sich die App heruntergeladen haben. Mund-zu-Mund-Propaganda ist unser wichtigster Kanal für die KundInnen-Gewinnung – Corona schränkte diesen massiv ein.
Kaum in Ostermundigen/Stettlen gestartet, meldeten sich (am 1. Tag!) Personen vom Ferenberg und Bantigen. Das mybuxi solle doch auch dort verkehren, weil es in diesen Weilern keinen öV gäbe und der Höhenunterschied von 200 Metern ja doch bedeutend sei. So kamen nach einer kurzen Abstimmung mit der Gemeinde Bolligen und dem Bundesamt für Verkehr (BAV) Gebiete in Bolligen zum mybuxi-Bediengebiet dazu. Der vielfach gewünschte Anschluss an das Wankdorf jedoch kam nicht – das BAV und das kantonale Amt für öffentlichen Verkehr befürchteten eine Konkurrenzierung von abgeltungsberechtigten öV-Angeboten.
Die zweite Welle beeinflusste die neuen Gebiete unterschiedlich. In Ostermundigen halbierten sich die Passagierzahlen mit dem zweiten Lockdown. Im Emmental stiegen sie an. Die meisten Fahrten sind derzeit Fahrten zum und vom Arbeitsplatz. Stadtnah gibt es mehr Jobs mit Homeoffice als draussen auf dem Land. Eigentlich hatten wir diese Zielgruppe weniger im Blick, aber alle anderen Motivationen wie Sport, Einkaufen, Freizeit, etc. waren und sind eingeschränkt.
Im zweiten Lockdown haben wir uns entscheiden, auch im Emmental einen Lieferservice anzubieten – den mybuxi-market. Allerdings ist es schwierig, den Grundbedarf auf die Plattform zu bringen – die grossen Retailer haben selbst Lieferservices und wollen keine Konkurrenz. Somit setzen wir vorerst vor allem auf den Personentransport. Die Kombination aus Personen- und Warentransport bleibt jedoch längerfristig ein Ziel.
Im Januar 2021 zeichnete sich ab, dass die Nutzungszahlen in Ostermundigen – Stettlen – Bolligen nicht schnell genug ansteigen, um wirtschaftlich funktionieren zu können. Dazu bräuchte es mindestens 175 Passagiere pro Tag. Oder etwa 500 Jahresabos, was etwa 2% der Wohnbevölkerung der drei Gemeinden entspricht. Vergleich: 6.25% der Schweizer Bevölkerung haben ein GA – da scheinen 2% noch machbar. Theoretisch. Praktisch ist es am Stadtrand aber schwer für ein neues Angebot. Dies liegt unserer Meinung nach an folgenden Punkten:
- Viele besitzen ein Auto, das bequem ist und gefühlsmässig vergleichsweise günstiger scheint als andere Angebote.
- Der “Linien-öV” kann die Bedürfnisse nicht abdecken.
- Die Naherholungsgebiete werden zwar häufig von den StadtbewohnerInnen genutzt; die Stadt Bern war jedoch nicht in das Projekt involviert.
- Die Agglomerations-Gemeinden haben kein Geld zur Unterstützung von Pilotprojekten.
- Bund und Kanton haben keine Rechtsgrundlage zur Unterstützung des Betriebs neuer Mobilitätsangebote jenseits von Projektfördermitteln.
- Verantwortliche des Kantons befürchten Konkurrenzierung von subventionierten öV-Linien.
- NutzerInnen erwarten einen Beitrag von der öffentlichen Hand.
- Die Zahlungsbereitschaft für nicht subventionierte Mobilität ist gering.
Daher haben wir entschieden, den «Stadtrandperimenter» Ostermundigen – Stettlen – Bolligen einzustellen und unsere Kräfte auf Herzogenbuchsee und das Emmental sowie auf die neuen Projekte im Gebirge und der Westschweiz zu bündeln. Wir sind mit 3 Vollzeitstellen immer noch ein sehr kleines Startup und müssen unsere Arbeit daher sehr stark fokussieren.
Unsere Fahrer, die wir entlassen mussten, wollen sich mit dem Ende in Ostermundigen/Stettlen aber nicht abfinden: sie haben eine Crowdfunding-Kampagne lanciert – ist sie erfolgreich, werden wir sie wieder anstellen und weitermachen.
Wie geht es weiter? Im Sommer/Herbst 2021 planen wir, je nach weiterem Pandemie-Verlauf, weitere Gebiete zu erschliessen. Rund um die bestehenden Gebiete gibt es Anfragen, die vielleicht mit einer Vergrösserung der Gebiete erfüllt werden können. Mit der Schweizerischen Südostbahn (SOB) arbeiten wir intensiv an weiteren Fragestellungen betreffend der optimalen Kombination von Bahn und mybuxi. Mit dem Regionalspital Emmental erkunden wir neue Wege in der Zusammenarbeit mit Gesundheitseinrichtungen. Mit der Hochschule Luzern (HSLU) wollen wir weitere Forschungsfragen klären. More to come...
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